Lot Nr. 618


Ferdinand Keller


(Karlsruhe 1842–1922 Baden-Baden)
Sappho, signiert, datiert Ferdinand Keller 1909, Öl auf Leinwand, 96 x 121 cm, gerahmt

Provenienz:
Auktion, Leo Spik, Berlin, 29. Juni 2017, Los 108;
Privatsammlung, Deutschland.

Gutachten von Prof. Dr. Helmut Börsch-Supan vom 25. Juli 2017 liegt auf Anfrage vor.

Sie ist die berühmteste Lyrikerin der Antike: die griechische Dichterin Sappho, die in klarer, ausdrucksstarker Sprache Liebe und Eros besang. Für Platon war sie die zehnte Muse. Auf unserem Gemälde hat Sappho gerade einen mit mächtigen Zypressen flankierten Hain verlassen, dessen Verortung kaum näher zu bestimmen ist, der in seiner Anlage aber deutliche Verweise auf Böcklins „Toteninsel“ führt. Hier wie dort betritt der Betrachter einen unmittelbar am Meer liegenden ummauerten Park. Durch die starke Verschattung der immergrünen Bäume, die für Tod und Trauer aber auch Trost und erneutes Glück stehen, bleibt uns der Zutritt allerdings verwehrt - und sein Inneres ein Geheimnis. Eine Sphinx am Eingang verstärkt die mystische Tiefe des Haines. Die Figur in der sonnenbestrahlten Wandnische des rechten Bildmittelgrundes dürfte Euterpe sein, Muse der Musik und lyrischen Poesie. Sapphos Lyra jedoch hängt kraftlos in ihrer rechten Hand, ihr Gesang – vielleicht ihr letzter – ist beendet. Die leidenschaftliche Dichterin lehnt in ihrem leichten, weißen Gewand am Gemäuer. Ihr Gesicht liegt im Ellenbogen verborgen, so dass das Haar als tiefschwarzer Fixpunkt in der Landschaft die Blicke auf sich zieht. Die tragische Maske an der Stirnseite des von ihr gewählten Mauerstücks spricht Bände. Ihr ist sie nun zugewandt - der Maskaron der Komödie gegenüber kann keine Aufmerksamkeit mehr entlocken, dieser wird bereits überwuchert von einer zartvioletten Glycinie, die Keller nahezu wörtlich aus seinem Gemälde “Böcklins Grab” (1901/02) zitiert.
Ferdinand Keller zeigt nicht Sapphos Verzweiflungstat, den dramatischen Sprung von einem Felsen ins Meer, sondern das Innehalten vor der letzten Entscheidung. Selbst das Meer tost nur verhalten, es kann warten. Noch ist nicht alles entschieden, eine Rückkehr in den Hain, aus dessen tiefem Dunkel ein Stück heller Himmel als Hoffnungsschimmer hervor leuchtet, ist nicht verstellt, Sappho kann noch zurück. In diesem Schwebezustand von tiefer Depression und Entscheidungsnähe strahlt das Bild eine poetische Stimmung aus. Nur der Wolkenhimmel weist auf Dramatik hin, die der Sage nach mit Sapphos erlösendem Sturz ins Meer endet. Ruhe vor dem Sturz? Auch das bleibt hier ein Geheimnis.

Ferdinand Keller wurde wegen seiner virtuosen, farbenintensiven Koloristik als “Badischer Makart” gefeiert. Die für die Wiener Akademie gemalte Monumentalversion des “Hero und Leander” brachte ihm denn auch 1882 einen ehrenvollen Ruf dorthin ein (dem er allerdings nicht folgte). Inspiriert von Arnold Böcklin fand er um 1900 zu einer eigenen Spielart des Symbolismus. Beide Meister haben gemeinsam, bestimmte Naturstimmungen durch die virtuose Verbindung musischer, mystischer und malerischer Elemente zum Erklingen zu bringen. Die Kunsthalle Karlsruhe konstatierte eine große Nähe unseres Bildes zu ihrem ähnlich großen “Böcklins Grab”. Weitere Versionen dieses Themas von Keller wurden in München (Neumeister, 30.11.2011) und Brüssel (Bonhams Cornette de Saint-Cyr, 02.04.2023) versteigert. Das der Literatur bisher unbekannte Bild zählt durch seine Poesie und den Anspielungsreichtum zu den bemerkenswertesten Bildschöpfungen der symbolistischen Schaffensperiode von Ferdinand Keller.

Expertin: Mag. Dimitra Reimüller Mag. Dimitra Reimüller
+43-1-515 60-355

19c.paintings@dorotheum.at

25.04.2024 - 18:00

Erzielter Preis: **
EUR 39.000,-
Schätzwert:
EUR 15.000,- bis EUR 20.000,-

Ferdinand Keller


(Karlsruhe 1842–1922 Baden-Baden)
Sappho, signiert, datiert Ferdinand Keller 1909, Öl auf Leinwand, 96 x 121 cm, gerahmt

Provenienz:
Auktion, Leo Spik, Berlin, 29. Juni 2017, Los 108;
Privatsammlung, Deutschland.

Gutachten von Prof. Dr. Helmut Börsch-Supan vom 25. Juli 2017 liegt auf Anfrage vor.

Sie ist die berühmteste Lyrikerin der Antike: die griechische Dichterin Sappho, die in klarer, ausdrucksstarker Sprache Liebe und Eros besang. Für Platon war sie die zehnte Muse. Auf unserem Gemälde hat Sappho gerade einen mit mächtigen Zypressen flankierten Hain verlassen, dessen Verortung kaum näher zu bestimmen ist, der in seiner Anlage aber deutliche Verweise auf Böcklins „Toteninsel“ führt. Hier wie dort betritt der Betrachter einen unmittelbar am Meer liegenden ummauerten Park. Durch die starke Verschattung der immergrünen Bäume, die für Tod und Trauer aber auch Trost und erneutes Glück stehen, bleibt uns der Zutritt allerdings verwehrt - und sein Inneres ein Geheimnis. Eine Sphinx am Eingang verstärkt die mystische Tiefe des Haines. Die Figur in der sonnenbestrahlten Wandnische des rechten Bildmittelgrundes dürfte Euterpe sein, Muse der Musik und lyrischen Poesie. Sapphos Lyra jedoch hängt kraftlos in ihrer rechten Hand, ihr Gesang – vielleicht ihr letzter – ist beendet. Die leidenschaftliche Dichterin lehnt in ihrem leichten, weißen Gewand am Gemäuer. Ihr Gesicht liegt im Ellenbogen verborgen, so dass das Haar als tiefschwarzer Fixpunkt in der Landschaft die Blicke auf sich zieht. Die tragische Maske an der Stirnseite des von ihr gewählten Mauerstücks spricht Bände. Ihr ist sie nun zugewandt - der Maskaron der Komödie gegenüber kann keine Aufmerksamkeit mehr entlocken, dieser wird bereits überwuchert von einer zartvioletten Glycinie, die Keller nahezu wörtlich aus seinem Gemälde “Böcklins Grab” (1901/02) zitiert.
Ferdinand Keller zeigt nicht Sapphos Verzweiflungstat, den dramatischen Sprung von einem Felsen ins Meer, sondern das Innehalten vor der letzten Entscheidung. Selbst das Meer tost nur verhalten, es kann warten. Noch ist nicht alles entschieden, eine Rückkehr in den Hain, aus dessen tiefem Dunkel ein Stück heller Himmel als Hoffnungsschimmer hervor leuchtet, ist nicht verstellt, Sappho kann noch zurück. In diesem Schwebezustand von tiefer Depression und Entscheidungsnähe strahlt das Bild eine poetische Stimmung aus. Nur der Wolkenhimmel weist auf Dramatik hin, die der Sage nach mit Sapphos erlösendem Sturz ins Meer endet. Ruhe vor dem Sturz? Auch das bleibt hier ein Geheimnis.

Ferdinand Keller wurde wegen seiner virtuosen, farbenintensiven Koloristik als “Badischer Makart” gefeiert. Die für die Wiener Akademie gemalte Monumentalversion des “Hero und Leander” brachte ihm denn auch 1882 einen ehrenvollen Ruf dorthin ein (dem er allerdings nicht folgte). Inspiriert von Arnold Böcklin fand er um 1900 zu einer eigenen Spielart des Symbolismus. Beide Meister haben gemeinsam, bestimmte Naturstimmungen durch die virtuose Verbindung musischer, mystischer und malerischer Elemente zum Erklingen zu bringen. Die Kunsthalle Karlsruhe konstatierte eine große Nähe unseres Bildes zu ihrem ähnlich großen “Böcklins Grab”. Weitere Versionen dieses Themas von Keller wurden in München (Neumeister, 30.11.2011) und Brüssel (Bonhams Cornette de Saint-Cyr, 02.04.2023) versteigert. Das der Literatur bisher unbekannte Bild zählt durch seine Poesie und den Anspielungsreichtum zu den bemerkenswertesten Bildschöpfungen der symbolistischen Schaffensperiode von Ferdinand Keller.

Expertin: Mag. Dimitra Reimüller Mag. Dimitra Reimüller
+43-1-515 60-355

19c.paintings@dorotheum.at


Käufer Hotline Mo.-Fr.: 10.00 - 17.00
kundendienst@dorotheum.at

+43 1 515 60 200
Auktion: Gemälde des 19. Jahrhunderts
Auktionstyp: Saalauktion mit Live Bidding
Datum: 25.04.2024 - 18:00
Auktionsort: Wien | Palais Dorotheum
Besichtigung: 13.04. - 25.04.2024


** Kaufpreis inkl. Käufergebühr und Mehrwertsteuer

Es können keine Kaufaufträge über Internet mehr abgegeben werden. Die Auktion befindet sich in Vorbereitung bzw. wurde bereits durchgeführt.